Häusliche Idylle
Adrian räumte die weihnachtlichen Lichterketten säuberlich in ihre Originalverpackungen im Kellerkäfig zurück und holte auf dem Rückweg die Wäsche aus dem Trockenraum, samt der Kuschelsocken für Sabine. Er würde nie verstehen, warum die bei diesen Temperaturen ständig fror. Zehn Grad plus – draußen – das war doch kein Kuschelsockenwetter! Schnee kannten sie hier in Marseille ohnehin fast nur vom Hörensagen.
„Zum Glück“, sagte Sabine. Was Adrian mit einem Schulterzucken quittierte. Er hatte es eben im Winter gern knackig kalt. Aber mit Sabine ging das nicht, unter 23 Grad durfte die Innentemperatur nie fallen, weil sie ständig nur bewegungslos am Sofa herumlümmelte, ein Buch las, einen Text in ihren Laptop tippte, ihre Chatnachrichten prüfte oder, wenn’s hochkam, häkelte oder strickte.
„Heute gehe ich zum Handball“, teilte er ihr mit, nachdem er ihr die Socken mit gekonntem Schwung aufs Sofa geworfen hatte, „und warte nicht auf mich, ich esse auswärts“. Sabine brummte nur und schaltete das Fernsehprogramm um und hörte demonstrativ weg, als Adrian sie daraufhin warnte, sie bekäme bald Muskelschwund in den Beinen, ehe er zum zehntenmal in dieser Woche zu seinem geliebten Sport aufbrach, den sie so hasste und ohne den er sich kein Leben vorstellen konnte (viel weniger als ein Leben ohne Sabine).
(Hier ist die Geschichte Nummer 6 aus der Etüden-Reizwörterliste von Christiane, aus der jeweils drei gewählt – Kuschelsocken, Lichterketten, Schnee – und in zehn Sätzen abgehandelt werden sollten. Sie waren für die Vorweihnachtszeit bestimmt, kommen aber krankheitshalber erst jetzt dran.)
Veröffentlicht am 6. Januar 2018 in Allgemein, Kürzestgeschichten, Realismus und mit Ehe, Lichterketten, Streit, Weihnachten, Winter getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. Ein Kommentar.
Idylle, pah! Aber das ist wohl viel zu häufig so, dass zwei nebeneinander her leben …
Liebe Grüße
Christiane
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