Ab heute

Oh, sie liebte ihn, sie liebte ihn so sehr, dass es wehtat, immer noch, nach fast drei Jahren. So vieles erinnerte sie an ihn, profane Dinge, Kleinigkeiten, Düfte, Melodien. Sie sah ihn vor sich, während sie die Möhren und Süßkartoffeln pürierte, denn Gemüse zu pürieren hatte sie von ihm gelernt. Sie dachte an ihn, während sie die Sonnenkollektoren am Dach gegenüber betrachtete. Er hatte auch Sonnenkollektoren für ihr Dach gewollt. Es war nicht mehr dazu gekommen, und sie hatte die Prospekte in den Papiermüll geworfen.

Manchmal war er ein Bruudler gewesen, so nannte ihn zumindest seine Mutter, eine Stuttgarterin, die nun auch schon seit fünf Jahren unter der Erde lag, und tatsächlich bruudelte und brummte er oft wie ein bräsiger Bär. Er mochte es, Dialekte zu mischen, Nord mit Süd, Ost mit West, von allem streute er etwas in seine Sprache.

Quer durch die Republik waren sie gezogen, hatten alle drei Jahre im Schnitt anderswo neu angefangen, hatten jahrzehntelang von April bis Oktober gedacht und von Oktober bis April, von Uni-Semester zu Uni-Semester, bis sie hier gestrandet waren, in diesem Nest in der Pampa von Hinterpfuiteufelshausen, wo es außer der Universität nichts gab, wo sie nie hin gewollt hatten und wo er eines hässlichen Morgens einfach nicht mehr aufwachte.

Da lag jetzt seine Asche auf dem Friedhof unter dem Märzschnee und der schwarzen Steinplatte, und sie stand davor und gratulierte ihm zum Geburtstag und liebte ihn immer noch, und sie spürte den Krampf in ihrem Magen und weinte nicht, denn sein Geburtstag war ein fröhlicher Tag, für den sie dankbar war und den sie nachher feiern würde, mit ihrer Tochter und ihrem Sohn und den Enkelkindern, sie würde eine Tradition daraus machen, nahm sie sich vor, jawohl, eine Tradition – ab heute.

(Mit freundlichem Dank an Christiane für ihre Schreibeinladung zu den abc-Etüden, sowie an   Nina Bodenlosz, von der diesmal die 3 Worte – Sonnenkollektoren, bräsig, pürieren – stammen, die in maximal 10 Sätze zu fassen waren.)

Über Elke H. Speidel

ist Publizistin und Soziologin und arbeitet als Fachautorin, gelegentlich auch als Schriftstellerin, Lebenswegberaterin oder Wissenschaftslektorin.

Veröffentlicht am 3. März 2018 in Allgemein, Kürzestgeschichten, Realismus und mit , , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 9 Kommentare.

  1. o Elke, das ist eine sehr berührende Geschichte, sie tut weh und sie tut gut – wegen der Freude über sein einstmaliges Geborenwordensein. ja, sie soll seinen Geburtstag feiern mit all denen, zu deren Geborenwordensein er ebenfalls beigetragen hat.

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  2. Es ist eine sehr persönliche Geschichte, wie du dir sicher gedacht hast, liebe Gerda. Aus gegebenem Anlass. Liebe über den Tod hinaus ist nicht nur traurig, sondern auch schön, auch wenn sie weh tut.

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  3. Sehr berührend und so voller Dankbarkeit.
    Darf ich ein schönes Geburtstagsfest wünschen?
    Natalie

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  4. Sehr berührend, liebe Elke und sicher ein guter Vorsatz. Unsere Nachbarn feiern schon seit Jahren den Geburtstag ihres längst verstorbenen Vaters.

    Liebe Grüße
    Anna-Lena

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  5. Ich mache das auch. Die Geburtstage der Toten feiern. An die Sterbetage denkt man sowieso.
    Ein sehr berührender Text, liebe Elke, vielen Dank.
    Liebe Grüße
    Christiane

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    • Stimmt, liebe Christiane. Sterbetage sind ein Anlass für Erinnerungen, aber nicht zum fröhlichen Feiern, Geburtstage der Verstorbenen dagegen sind nach wie vor erfreuliche Gedenktage, denn der Tod ändert nichts daran, dass die Geburt des lieben Menschen ein erfreuliches Ereignis war.

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