Archiv für den Monat August 2018

Widersprüchlich

„Biodiesel“ hört sich für Marina an wie ein Widerspruch. Pompös kommt ihr die Bezeichnung vor, wie das meiste, das mit dem Begriff „bio“ vermarktet wird. Oder mit dem Begriff „nachhaltig“. Oder „fair gehandelt“.

Biodiesel hat den smarten José reich gemacht, so viel Geld für Mais, aber Juanita, Marinas Schwester, und ihre fünf Kinder, Marinas drei Nichten und zwei Neffen, müssen jetzt hungern, denn Juanita kann den Mais nicht mehr bezahlen, und Marina verdient nicht genug, um ihrer Schwester zu helfen. Und wenn Marina die vielen rosafarbenen Menschen sonnenbaden sieht, die neuerdings in klimatisierten Bussen vom nahe gelegenen Flughafen ins Dorf gekarrt werden, fragt sie sich, was die daran so gut finden, dass sie ein Jahr lang sparen, um sich die tausende Flugkilometer dafür zu leisten.

Ja, sie weiß, dass ihr klappriger Ford Granada, Jahrgang 1982, ein Dieselsäufer ist, sie weiß, dass Erdöl endlich ist, aber Josés Diesel kann sie nicht bezahlen, ein anderes Auto auch nicht, und ohne Auto kommt sie nicht zur Arbeit. Niemals würde sie ihr Gefährt nutzen, um in den Urlaub zu fahren, zumal sie weder Zeit noch Geld für einen solchen Unfug hat.

Und fairer Handel – nun ja, ihre Tochter hatte es natürlich nicht sehr schön in der Fabrik von Juan, Josés Zwillingsbruder im Geiste, aber seit diese sonnenbadenden Geschäftsleute Juan keine Kleidung mehr abkaufen wollen, hat Mariella keine Arbeit mehr und hängt nur noch ab mit den Jungs, die nichts weiter tun als Selbstgebrannten zu trinken und Joints zu rauchen.

Faire Bio-Nachhaltigkeit, findet Marina, ist eben ein Luxus, den nur rosafarbene Menschen sich leisten können, die tagsüber am Strand liegen und sonnenbaden und abends exquisite Speiselokale aufsuchen und nach teurer Seife duften und sich wegdrehen, wenn normale Leute an ihnen vorüberlaufen.

(Die Wörter der Textwoche 30.18 (ja, ja, ich weiß, dass ich immer noch zu spät dran bin!) wurden uns dankenswerterweise von Yvonne zur Verfügung gestellt. Wie immer waren sie auf Einladung von Christiane in maximal 10 Sätze zu packen. Diesmal lauteten sie: Biodiesel, pompös, sonnenbaden.)

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Nichts Genaues weiß man nicht

„Kernschmelze“ klang für Brigitte wie „Tschernobyl“, und das Wort Tschernobyl kannte sie erst seit 1986, als ihr Mann Andreas dort auf Geschäftsreise gewesen war, während sie, knapp 1000 Kilometer und doch nicht weit genug davon entfernt, von ihrer Frauenärztin erfuhr, dass sie schwanger war. Niemand erzählte ihr und den anderen werdenden Müttern (oder sonst irgendwem), dass sie ab sofort alles wegwerfen sollten, was grün war.

Niemand sagte ihnen auch nur, dass in Tschernobyl etwas passiert war – und schon gar nicht was. Sie lebten ihr normales Dorfleben im Tal des Homorod-Baches in der Nähe von Kronstadt, irgendwo in Siebenbürgen. Abends stand Brigitte wie die anderen vor ihrem runden Hoftor und wartete auf ihre Büffelkuh, die von der Weide kam. Die Hände, mit denen sie gerade noch im Garten gebuddelt hatte, wusch sie sich am eigenen Brunnen, ehe sie die Kuh molk, um mit ihrer Milch den Maisbrei – Palukes oder Mamaliguta genannt – zu strecken. Die Lauchzwiebeln hackte sie klein und verteilte sie als Gewürz auf dem gelben Brei.

Als Andreas von seiner Geschäftsreise nicht zurückkam, erzählte ihr der Dorfpolizist, dass ihr Mann einen Unfall gehabt habe. Als sie ihr Kind verlor, sagte die Frauenärztin im benachbarten Städtchen Reps, das komme in den ersten drei Monaten oft vor. Erst lange nach der Aussiedlung nach Deutschland, jetzt, im Jahr 2018, hielt ihr Münchner Onkologie, der ihr ruhig und emotionsfrei die Krebsdiagnose erläuterte, es für möglich, dass die Erkrankung eine Spätfolge des Reaktorunfalls war, aber genau sagen konnte er es auch nicht.


(Für die Textwoche 29.18 hat Viola die drei Wörter Kernschmelze, grün und wegwerfen gespendet, die wie immer auf Einladung von Christiane in maximal 10 Sätze zu packen waren.)