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Schwere Entscheidung
Eine Flaschenpost! Das war DIE Idee!
Eine Idee gegen die Trübsal.
Die Ölflasche war leer, ausgewischt mit Marie-Luises letzter Brotkruste. Die Lebensmittelvorräte, die sie für ihre Schreibwoche in der Höhle gelagert hatte, waren aufgebraucht. Selbst die Kerne ihrer Sonnenblume hatte sie aufgegessen.
Dass es keinen Handyempfang gab, war beabsichtigt gewesen, aber zur Falle geworden, als nach dem Gewitter die Erde vor dem Höhleneingang einbrach.
Eine Quelle sprang als Wasserfall in die Klamm. „Hilfe! Sitze in der Bärenhöhle fest!“, schrieb Marie-Luise auf das abgelöste Etikett und schickte die Flasche los. Sie schleuderte sofort gegen einen Felsen und zerbarst in tausend Stücke.
***
In dieser Nacht träumte Marie-Luise von einem Schokokeks, von einem einzigen, angenagten Schokokeks, einem von diesen widerlichen Dingern, die sie als Kind schon nicht gemocht hatte. Einem Keks voller brauner, schmieriger Schokolade, die sich als süßlicher Belag auf der Zunge festsetzte und sie zum Würgen brachte.
„Wenn ich hier einen Schokokeks finde“, schwor sie sich im Traum, „werde ich ihn aufessen. Es sind Kalorien. Kalorien braucht man zum Überleben. Ich werde ihn mir gut einteilen, jeden Tag nur einen kleinen Bissen nehmen. Damit er lange reicht.“
Aber als sie aufwachte, wusste sie wieder, dass sie keinen Keks finden würde, nirgendwo.
***
Das einzige Schächtelchen, das noch nicht völlig leer war, enthielt Pflaster. Blasenpflaster. Es kam Marie-Luise vor wie ein Witz. Wenn sie hier nicht verhungern wollte, musste sie irgendwie in die Klamm hinunter gelangen, ohne Seil, ohne Haken, mit Stadthalbschuhen an den Füßen. Blasen wären da das geringste Problem.
Sollte sie hier bleiben, auf ein Wunder warten? Darauf, dass ein Hubschrauber sie trotz des Nebels entdeckte? Sie hatte kein Holz mehr, um Feuer zu machen, und in der feuchten Luft hätte es nicht gebrannt. Und sie war geschwächt vom sparsamen Essen.
Verhungern oder abstürzen? Das war die Frage. Die letzte, entscheidende.
(Dies ist mein erster Versuch mit Drabbles. Angeregt wurde er von „Christiane“ und ihrem „Etüdensommerpausenintermezzo.“ Der erste Teil setzt sich aus 100 Wörtern zusammen, die als Schlüsselwörter „Trübsal“, „Sonnenblume“ und „Flaschenpost“ enthalten, die ersten beiden Teile ergeben ein Double-Drabble aus 200 Wörtern und dem Zusatzwort „Schokokeks“, und alle Teile zusammen bilden ein Triple-Drabble, in dem als weiteres Zusatzwort „Pflaster“ vorkommt. War nicht ganz einfach, das muss ich zugeben. Trotzdem (oder gerade deswegen): Danke für die Anregung!