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Sprachgesetze

Wenn es Gesetze gegeben hätte, Gesetze, die bestimmten, welche Wörter man sagen durfte, und welche nicht, dann wäre alles einfach gewesen. Vorausgesetzt, die Sprachpolizei, die der Große Diktator als Unterbereich der Staatssicherheitspolizei gegründet hatte, hätte sich an diese Gesetze gehalten.

Im Grunde gab es sogar Gesetze (oder Verordnungen, das wusste sie nicht so genau), die bestimmten, dass in ihren muttersprachlichen Zeitungen die alten Ortsnamen nicht mehr genannt werden durften, weil nur noch die Landessprache zulässig war. Es war lächerlich – die Namen von Flüssen und Bergen durften noch verwendet werden, sodass die Leute von der Zeitung darauf ausweichen konnten, die „Stadt am Fluss X oder unter dem Berg Y“ zu schreiben. Aber über diese Gesetze hinaus war nicht viel festgelegt, was gesagt und was verschwiegen werden durfte oder musste.

Dass der Große Diktator der geliebteste Sohn des Volkes war, stand natürlich außer Frage. Dörfer und jahrhundertealte Kirchenburgen schleifen zu lassen war ein Akt des Fortschritts, und sicherlich würde es der Sprachpolizei nicht gefallen, diese Absicht „verroht“ oder „barbarisch“ zu nennen, aber gab es ein Gesetz, dass die Verwendung der entsprechenden Begriffe untersagte?

Sie kaute am Griff ihrer Füllfeder und überlegte die nächste Zeile des Loblieds auf die Allesbeherrschende Partei, an dem sie gerade schrieb, für die Jugendseite der muttersprachlichen Wochenzeitung, die diesmal von ihrem Lyzeum gestaltet wurde. Irgendwas Verherrlichendes musste es sein, etwas Hehres und Stolzes, etwas Patriotisches und Heimatliebendes.

Ihr einziger Trost bestand darin, dass auch dieser Spuk einmal vergehen würde, für sie persönlich spätestens, wenn sie nicht mehr am Leben wäre.

(Für die Textwoche 27.18 hat Werner Kastens die drei Wörter Sprachpolizei, verroht und vergehen gespendet, die wie immer auf Einladung von Christiane in maximal 10 Sätze zu packen waren.)

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