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Abendspaziergang

Noch ein Atemzug, und noch einer, und noch einer. Noch ein Schritt, immer nur einer, von Steinplatte zu Steinplatte, jeder Weg besteht aus Schritten, aus vielen Schritten, aber immer nur aus einem auf einmal, so wie ein Atemzug immer allein daherkommt, wie er auch keinen anderen braucht, nicht jetzt, nicht im nächsten Jahr, nicht im nächsten Monat, nur im nächsten Augenblick, und wieder … Ich gehe, und ich werde weiter und weiter gehen, den Weg, den er gegangen ist, und vielleicht werde ich dort ankommen, wo er angekommen ist, aber das weiß ich nicht, niemand weiß es, den ich kenne, denn ich kenne keinen Menschen, der diesen Weg je zurückgekommen ist.

Die Wolken am Dämmerhimmel sehen aus wie Dämonen, wie Federn, wie Schäfchen, wie riesige Wattebäusche, wie mächtige Gebirge, wie die Silhouette einer fremdartigen Stadt und dann wieder nur wie Wolken, windzerfetzt, vereinzelt, schlecht zusammenpassend, Schmutzflecken am Himmel. Welche Farbe hat der Himmel jetzt, seit auch das letzte Sonnenlicht hinter den Hochhäusern verschwunden ist? Er ist nicht mitternachtsblau, oder wenn er es wäre, könnte ich es nicht erkennen hinter all dem fragwürdig bunten Flirren der Großstadtlichter, die ich so geliebt habe, vor vielen Jahren, dass ich mir extra eine Busfahrkarte kaufte, um in die Innenstadt zu fahren und das Rot und Grün der Ampeln, das Weiß der Straßenlaternen, das Neonblau der Leuchtreklamen zu bestaunen.

Noch ein Schritt. Noch ein Atemzug.

„Du musst keine Angst haben“, sagt mein Enkelsohn, „du musst nichts tun, denn irgendwann sterben wir alle. Du musst nur warten, irgendwann wird ein Atemzug der letzte sein, und dann kommst du zum Opa, und später, weißt du, komme ich auch zu euch, und dann sind wir alle wieder zusammen.“

(Mit einem Dankeschön an Christiane für ihre Einladung zu den abc-Etüden, diesmal die Nummer 2 mit den Wörtern „Monat“, „fragwürdig“ und „gehen“, die wie immer in maximal 10 Sätzen unterzubringen waren.)

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Unkontrollierbar

Die Mondsichel schnitt in die Gewitterwolken wie ein scharfes, schimmerndes Gemüsemesser. Marietta sah aus dem Fenster, während sie das Abendessen zubereitete, Möhren zerkleinerte, Zwiebeln, Gurken, Lauch, Petersilie. Sie knipste das Licht über der Arbeitsplatte an, zusätzlich zur Deckenbeleuchtung. Die Küche war dunkel, da konnte Jonathan sagen, was er wollte.

Wolken zogen vorbei wie schwarzer Blumenkohl, ballten sich bauschig zusammen, jagten den Himmel entlang, an den Bergspitzen entlang, zack, Schnitt, Zäsur, unter den Sternen durch, von denen einige Flugzeuge waren, rotes Blinken verriet sie, die Wolken rasten zur tödlichen Sichel hinüber, Zäsur, Zusammenballen, Schnitt …

Marietta schüttete das Gemüse in die Pfanne, hörte zu, wie das heiße Fett aufbrutzelte, stellte die Dunstabzugshaube auf Position zwei. Sie rief nach Jonathan, der noch irgendwo im Garten Johannisbeeren erntete und sicher glaubte, er habe alles unter Kontrolle, denn das glaubte er eigentlich immer.

„Es geht gleich los!“, rief sie, und sie wusste selbst nicht, ob sie das Abendessen meinte oder das Gewitter. Blitze durchzuckten die Nacht, ließen Sichel und Sterne vergessen, aus der Pfanne spritzte Fett auf die heiße Herdplatte, loderte flammend hoch, verfing sich in Mariettas offenem Haar, brachte den Brandmelder zum Schrillen. Manche Dinge, dachte Marietta mit einem absurden Gefühl von Triumph, konnte eben nicht einmal Jonathan kontrollieren.

(Mit Dank an „Christiane“ für ihre Schreibeinladung  und an „autopict“ für die Wortspende dazu, die diesmal „Mondsichel, Zäsur, kontrollieren“ lautete.)

Start in den Tag

Wieder ein Morgen nach einer Nacht.

Das Radio hat einen Fehler gemacht

und wurde dafür von mir ausgelacht.

Danke dir, liebes Radio,

Lachen stimmt mich doch immer froh,

Versprich dich bitte weiter so!