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Stummes Rufen

„Komm her“, sagte Franz-der-Fisch, „komm her zu mir!“

Er sagte es mit seinen großen, grünen Augen zu niemand Bestimmtem, denn niemand außer ihm war da, und er wusste es. Trotzdem bettelte er stumm mit halb geöffneten Lippen um Beachtung.

Warum kam denn keiner? Wo waren alle? Gut, auf Harry-den-Hai verzichtete er gern, und mit Walter-dem-Wal konnte er auch wenig anfangen. Aber Dietmar-der-Delfin? Was war mit dem? Wie herrlich hätte Franz mit ihm spielen können, wie oft hatten sie es zusammen getan!

War er etwa Manfred-dem-Menschen ins Netz gegangen? Bloß das nicht! Ein Dasein im Aquarium eines zoologischen Gartens war das Schrecklichste, das sich Franz und Dietmar je ausgemalt hatten. Roberta-die-Robbe, der die Flucht aus einem Zoo gelungen war, hatte gar nicht aufhören können, Horrorgeschichten darüber zu erzählen.

„Komm her, du“, bettelte Franz weiter mit den Augen, bettelte ins Leere hinein, sinnlos, denn in dem Gewässer, das sein Zuhause war, lebte außer ihm nichts mehr, und die Reste des aufblasbaren Plastikkrokodils, die blaurosa an einem vorspringenden Unterwasserfelsen baumelten, konnten Franz nicht antworten, hätten es nicht einmal zu der Zeit gekonnt, als der Strand noch sauber und voller Menschenkinder gewesen war, die fröhlich ihre Sandburgen gebaut hatten.

(Diese Geschichte entstand als Bildbeschreibung während eines Schreibworkshops bei der Lektorin und Schreibtrainerin Maike Frie in Münster. Darzustellen, aber nicht zu nennen war der Begriff „traurig“ anhand des Aussehens eines bunten Fisches auf schwarzem Grund.) 

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