Archiv der Kategorie: Rezensionen

Kinderbuch mit Nachdenklichkeitsfaktor

Opa Ratte vergisst Sachen, verirrt sich in bekanntem Gelände, traut sich nicht mehr vom Fleck weg, ist langsam geworden. Und er merkt es. Und mag nicht mehr. Oma Ratte verzweifelt fast daran. Mama Ratte, trächtig mit neuen Rattenbabys, kann nur mühsam helfen.

Papa Ratte beruft den Familien- und Nachbarschaftsrat ein, und Rattenkind probiert eine Idee nach der anderen aus, um dem alt gewordenen Opa zu helfen: Es findet einen alten Rollschuh, „ein Schiebebett“, wie Mama Ratte sagt, um Opa einen Ausflug zu ermöglichen, es schleppt ein noch funktionsfähiges Radio heran, um Opa mit Musik wach zu bekommen. Mama Ratte besorgt eine Trillerpfeife, mit der Opa Ratte sich bemerkbar machen kann, falls er sich verläuft. Aber nichts hilft.

Opa Ratte mag kein Leder fressen, was der Sinn des Ausflugs mit dem Rollschuh-Schiebebett war. Während Oma Ratte zur Radiomusik tanzt, erkennt Opa Ratte plötzlich nicht mehr, was ein Schiebebett ist und fragt, warum da Musik spielt. Und er vergisst, dass er die Trillerpfeife benutzen sollte, als er sich verläuft.

Als aber Mama Ratte ihre Rattenbabys zur Welt bringt, bemüht sich Opa Ratte darum, seine zu lang gewachsenen Zähne kurz zu wetzen, damit er die Kleinen gefahrlos küssen kann, denn die Babys schmiegen sich vertrauensvoll an seinen wabbelig gewordenen Bauch und bringen, genau wie das größere Rattenkind, ein wenig Freude in Opas Leben.

Andrea Behnke schildert in diesem schon für Kindergartenkinder verständlich geschriebenen und von Dorothea Kraft ansprechend bebilderten Kinderbuch den Zusammenhalt in einer Familie, in der alle sich umeinander kümmern, ohne verniedlichendes Ausblenden der Traurigkeiten. Es ist ein Buch, das Omas und Opas, Mamas und Papas nicht nur vorlesen können, ein Buch, über das sie mit ihren Vier- und Fünfjährigen auch diskutieren können, selbst wenn der vergesslich werdende Großelternteil für sie vielleicht die Oma ist oder ein Urgroßelternteil.

Ähnlich wie in ihrem Buch „Oma war eine Seeräuberin“ bearbeitet die Autorin die Beziehung zwischen Kindern und alten Menschen und bietet so Gesprächsanlässe über familiäre Probleme, die viele Kinder spüren, obwohl es für Erwachsene nicht immer erkennbar ist, und die sie erklärt bekommen wollen, auch wenn viele Erwachsene das Erklären schwierig finden.

Das Ergebnis ist als Gute-Nacht-Geschichte möglicherweise nur bedingt geeignet, besonders wenn Kinder persönlich von der Thematik betroffen sind, aber zu anderen Tageszeiten können gerade Groß- und Urgroßeltern es gemeinsam mit den Kleinen ansehen, lesen und nutzen, um einander Nähe und Verständnis zu bieten und voneinander Kraft zu tanken.

Seine Daten: Andrea Behnke, Dorothea Kraft: Was ist nur mit Opa los, Südpol Verlag Greventroich, 2019, 26 (nicht nummerierte) Seiten, ISBN-978-3-96594-009-3.

 

Anmerkung: Wie jede Rezension könnte der obige Text als Werbung ausgelegt werden, obwohl ich sie nicht bezahlt bekomme.

Märchenbuch für starke Mädchen

Gibt es Statistiken dazu, wie viele Mädchen als Neunjährige davon träumen, Forscherinnen zu werden? Abenteuer zu erleben? Erfolgreich zu sein? Wie viele es für selbstverständlich halten, dass ihre Mama nach Kenia beordert wird, um eine Wasserpumpe zu reparieren, die sie dort vor Jahren installiert hat? Wie viele dieser Mamas das Glück haben, das mit dem Papa (und zwei ihrer Kinder) gemeinsam tun zu dürfen?

Lena, die Heldin des Kinderbuches „Burginternat Rosenstein – Lena und die Bande der Ritterinnen“ von Anette Huesmann, weiß nichts von der Unwahrscheinlichkeit ihrer Situation, auch wenn sie zunächst traurig ist, dass sie als einziges Kind nicht mit nach Kenia darf, weil ihre Schule sich nicht flexibel genug dafür zeigt (offiziell: weil ihre Noten zu schlecht sind). Sorgfältig haben ihre Eltern aber ein Internat ausgewählt, das den Vorlieben der jüngsten Tochter entsprechend auf einer alten Burg liegt. Denn Lena will eine Ritterinnenrüstung finden. Und das hilft dem Kind über den Trennungsschmerz hinweg.

Von Lernen ist auf der Burg freilich keine Rede (vermutlich hätte sie in Kenia mit ihren Ingenieurs-Eltern mehr gelernt), denn der elektrische Strom ist ausgefallen, weil die Leitungen marode waren und samt und sonders ausgetauscht werden müssen. Die meisten Kinder sind nach Hause geschickt worden, und nur diejenigen, die im Moment nicht nach Hause können, bleiben wie Lena im Internat.

Zwei der Mädchen werden als unsympathisch dargestellt, passen sozial wohl nicht ins gewünschte Schema. Das eine ist ein Diplomatenkind, das andere die Tochter des Hausmeisterehepaars. Beide Mädchen legen Wert auf eine Individualität, die im Internat nicht gefragt ist – hier gilt es, sich ein- und unterzuordnen. Besondere Bedürfnisse darf allenfalls eine Rollstuhlfahrerin haben. Trotzdem, und da zeigt Anette Huesmann die Realitäten, darf die Diplomatentochter Sonderrechte in Anspruch nehmen, weil ihre Eltern ein Doppelzimmer zur Einzelnutzung (doppelt) bezahlen. Das Hausmeisterskind dagegen darf nicht zu seinen Eltern gehen, auch nicht, wenn es die Situation nahelegen würde.

Eher unrealistisch-positiv wird die Situation der Rollstuhlfahrerin geschildert, auf deren Bedürfnisse in jeder Hinsicht eingegangen wird, bis hin zu einem eingebauten mechanischen Treppenlift, der auch ohne elektrischen Strom funktioniert. Die Handlung an sich ist spannend und kindgerecht, mit gespenstischen Zutaten gewürzt und gut verständlich in Ich-Form aus Sicht von Lena geschrieben. Rosa Zauberstäbe und ähnlich „mädchenhafter“ Blödsinn kommen zum Glück nicht vor. Ein Märchenbuch ist die Geschichte trotzdem, zumindest für Lesende im westdeutschen Bereich. Zur Begründung verweise ich auf den Treppenlift und den ersten Absatz. Trotzdem: ein lesenswertes Buch, nicht nur für Neunjährige. Und ein Buch, das nach einer Fortsetzung verlangt.

Seine Daten: Anette Huesmann, Burginternat Rosenstein. Lena und die Bande der Ritterinnen, mit Illustrationen von Nadine Reitz, Burg Edition Schriesheim 2016, 128 Seiten, ISBN-10: 1530329132, ISBN-13: 978-1530329137.