Das Monster

Das Stativ sah aus wie ein Monster, mit seinen drei Beinen, dem zylindrischen Metallkörper und dem flachen Kopf mit senkrechten Rillen dran.

„Geh weg!“, sagte meine Enkelin und baute sich drohend vor dem Gebilde auf, das doppelt so groß war wie sie, „geh weg, Monster! Ich habe keine Angst vor dir, aber du darfst dem Brüderchen nichts tun. Wenn du dem Brüderchen die Beine abbeißt, jag ich dich!“

Das Monster sagte nichts.

Das Brüderchen schlief unbeeindruckt in seiner Wippe den Traum eines gerechten Babys, diesen Kindheitstraum, den wir alle einmal geträumt haben, zumindest wenn wir nicht schon vorher traumatisiert das Träumen verlernen mussten.

Meine Enkelin drehte sich zu dem Kleinen um und legte schützend die Ärmchen um den unteren Teil der Wippe.

„Ich bin ganz vorsichtig, Oma“, sagte sie, „ich tu dem Brüderchen nicht weh, ich will nur bitte, dass du das Monster wegmachst.“

Da sie so nett bat, konnte ich nicht widerstehen, klappte das Stativ zusammen und räumte es in seine Kiste.

Den Erinnerungen an diese Zeit voller Stress und Wachstum, voller Wandel und Hoffnung, voller Ängste und Lebensfreude würde ich später auch nachspüren können, ohne sie im Bild festgehalten zu haben.

(Danke für die Schreibeinladung an „Christiane“ und für die Wortspende zu dieser Zehn-Satz-Geschichte an „Anna-Lena„.)

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Über Elke H. Speidel

ist Publizistin und Soziologin und arbeitet als Fachautorin, gelegentlich auch als Schriftstellerin, Lebenswegberaterin oder Wissenschaftslektorin.

Veröffentlicht am 27. Juli 2017 in Allgemein, Kürzestgeschichten, Realismus und mit , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 2 Kommentare.

  1. Ach, das ist toll. Und deine Enkelin ist es auch.
    Liebe Grüße
    Christiane

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  2. Ja, meine Enkelin ist ein sehr liebes Mädelchen, wenn die Geschichte auch fiktiv ist. Aber natürlich nicht ganz ohne Vorlage aus dem wirklichen Leben.
    Danke für den netten Kommentar!

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