Diesmal nicht

Nie wieder.

Nie wieder wollte Dietmar in diese Falle tappen, in diese Falle des Nie-wieder-das und Nie-wieder-jenes. Zu nahe lag die Schlussfolgerung eines Alles-ist-aus.

Stattdessen wollte Dietmar das Leben genießen, verdammt noch mal! Er wollte den fiesen, märzlichen Nieselregen genießen, den Wind, der so schneidend um die Häuserecken pfiff, dass nur der Februar ihn geschickt haben konnte, er wollte den Cappuccino genießen, mit drei Päckchen Zucker, jawoll, und in die Doboschtorte beißen, für die das Café Nirgendwo berühmt war.

Er wollte die Osterglocken auf seinem Tischchen bewundern, und er wollte nicht an Herbert denken, der nie wieder mit ihm über die Regenschirme lachen würde, die der Wind gnadenlos zu Waschschüsseln umdrehte.

Dass er sich nie wieder zu einem Halbmarathon anmelden würde, nicht mit und jetzt auch nicht mehr ohne Herbert, nie wieder den Fünfzehn-Kilometer-Berglauf mitmachen – Schwamm drüber.

Dietmar würde auch nie wieder arbeiten können, nicht als Gärtner (die einzige Arbeit, die in seinen Augen sinnvoll war), und er würde nie wieder Bodo hinterherlaufen, wenn der freier als erlaubt durch den Wald stromerte. Bodo war zu schnell, Bodo war zu unberechenbar, Bodo überforderte Dietmar. Er würde Bodo verschenken und sich nie wieder einen Hund anschaffen.

Nie wieder.

Verdammt.

Jetzt war sie doch zugeschnappt, die Falle, die ihm nach Herberts Tod die Lust am Weiterleben verdorben hatte.

Aber diesmal nicht, knurrte Dietmar, so laut, dass seine Tischnachbarn zu ihm hinübersahen.

Diesmal lasse ich mir den Rest Leben nicht vermiesen, den der Krebs mir gelassen hat.

Denn das Leben ist schön, verdammt, jawoll! Und wenn er die Operation letzte Woche nicht überlebt hätte, könnte er nicht zusehen, wie die Frühlingsfliege auf der Papierserviette die Beinchen aneinander rieb.

Nein, nie wieder in diese Falle tappen!

Nicht Dietmar!

Ein Cappuccinotropfen kitzelte seinen Bart. Dietmar fing ihn mit der Zunge auf.

Wieso schmeckte er nach Salz?

(Ich mache nach langen Wochen mal wieder mit beim Schreibprojekt von Christiane. Drei Schlüsselwörter sind mit 297 anderen Wörtern zu einer kleinen Geschichte zu kombinieren. Die Wörter dafür – Café, verdorben, beißen – spendete diesmal Rina. Danke euch beiden!)

Über Elke H. Speidel

ist Publizistin und Soziologin und arbeitet als Fachautorin, gelegentlich auch als Schriftstellerin, Lebenswegberaterin oder Wissenschaftslektorin.

Veröffentlicht am 29. März 2019 in Allgemein, Kürzestgeschichten, Realismus und mit , , , getaggt. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink. 14 Kommentare.

  1. Wer liebt, öffnet sein Herz auch dem Schmerz, las ich irgendwo. Lieben ist leben ist leiden. Es gehört dazu.
    Ich finde es verdammt großartig, dass du wieder schreibst. Vielen Dank!
    Liebe Grüße
    Christiane

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  2. Ich freue mich sehr, dass du wieder da bist, liebe Elke ❤ !
    Pass gut auf dich auf!

    Liebe Grüße
    Anna-Lena

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  3. Ach Schmerz, Trauer und „Salz“ gehören einfach auch zum Leben dazu.
    Ich wünsche nicht nur Dietmar ganz viel Lebensfreude in diesem Frühjahr.
    Natalie

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  4. Wir sind so schlecht vorbereitet auf das. Dabei verabschieden wir jeden Tag einen Tag…unseres (eigenen) Lebens. Indem ich versuche mit-zu-fühlen, versuche ich mich vorzubereiten auf das, was wahrscheinlich kommt: zum Beispiel – irgendwann einmal- der Abschied von der eigenen Mutter. Ich schweife ab… ein schöner, berührender Text…

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  5. Dies tückische Krankheit. Die Niemals-wieder-Falle – wer kennt sie nicht und tappt nicht immer wieder hinein.
    Und zu jedem Kampf gehört auch bisschen Salz.

    Sehr schön geschrieben.

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    • Danke sehr. Und so eine Krankheit kann auch die schon fast vernarbte Wunde wieder aufreißen, die der Tod eines lieben Menschen bei dessen Angehörigen verursacht hat. Manchmal ist es nicht einfach, da gegenzuhalten.

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      • Ja – das glaube ich gerne. Ich hab, bis jetzt zum Glück, noch keinen engen Familienangehörigen an Krebs verloren – nur den Schwiegervater an COPD – und das war auch schon schlimm.
        Dagegenhalten ist dann wirklich ein enormer Kraftakt.

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      • Die Todesursache, finde ich, ist Nebensache, wenn ein naher Angehöriger stirbt. Jede Todesursache enthält ihre eigene Prise Grausamkeit, sei es für diejenigen, die sterben, sei es für diejenigen, die zurückbleiben, sei es für beide Seiten.

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      • Da sagst du wahres. Dieses endgültige ist das schlimme

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