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Schön war’s

„Zweibrücken – Zweibrücken – Zweibrücken“, murmelte die alte Dame und nestelte nervös an ihrer Brille, die an einem silbernen Kettchen befestigt war und ihr wie ein zu groß geratenes Schmuckstück über dem flachen Busen baumelte, genau oberhalb des Perlenschmetterlings, der ihren zartrosa Mohairpulli zierte, „nun hilf mir mal, Roman“, es klang ungeduldig, „da war doch was, damals, in Zweibrücken, du weißt es sicher noch, du weißt ja sonst auch immer, was ich meine!?“

„Ich bin nicht Roman, Frau Eichhorster“, antwortete der junge Mann mit geschulter Ruhe in der Stimme und hob die fadenscheinig gewordene Seidendecke mit dem eingewebten Familienwappen vom peinlich sauberen PVC-Fußboden auf, drapierte sie vorsichtig so, dass sie die Räder des Rollstuhls nicht berührte und steckte sie rechts und links an Frau Eichhorsters magerem Körper fest.

„Aber wenn du nicht Roman bist, wer bist du dann, und was wollen Sie hier in Zweibrücken, junger Mann?“

Die alte Dame guckte irritiert zum kleinen Gitterkreuzfenster hin, wo, unsichtbar für ihre unbebrillten Augen, am Horizont die Alpen schwarzgezackt in den Abendhimmel ragten.

„Bist du Silviu?“

„Ich heiße Ahmed“, sagte der junge Mann, „Ahmed Aytulun, und ich arbeite hier, und Sie sind in der Residenz Abendsonne, in Radfeld, und wir kennen uns seit fünf Jahren.“

Frau Eichhorsters Hand wischte ruhelos über die Seidendecke, der Gedanke an Zweibrücken ließ sie nicht los, da war doch etwas gewesen, verdammt, sie wusste es genau, aber sie hatte vergessen, was es war, und dieser Junge, Roman oder Silviu oder Ahmed (sie erinnerte sich nicht, einen Enkel namens Ahmed zu haben, eigenartig), der wollte ihr nicht auf die Sprünge helfen wie sonst, oder er konnte es nicht, oder … Die alte Dame fasst nach einer nicht mehr vorhandenen Haarsträhne, um sie mit gewohnter Geste hinter ihr linkes Ohr zu wickeln, fasste ins Leere, starrte einen Augenblick verwundert auf ihre Handfläche, hob die Hand dann trotzig zum Ohr und hielt sich leicht zitternd am Ohrläppchen fest, grenzenlos erstaunt über diese seltsame Welt, die so gar nicht mehr schien, wie sie einmal gewesen war.

Ja, damals, in Zweibrücken, damals, als … als …

Mit trüben, halbblinden Augen, die dritten Zähne (oder die fünften, es spielte keine Rolle) knirschend aufeinandergepresst, gab sie es vor sich selbst zu, dass es weg war, das Damals, fortgeweht auch aus ihrer Erinnerung, und sie bemühte sich, das Gefühl der Freude trotzdem weiter zu spüren, das damit verbunden blieb, denn sie wusste, das, was sich in Zweibrücken abgespielt hatte, irgendwann in einem früheren Leben, das war schön gewesen, sehr schön – was immer es gewesen sein mochte.

(Mit einem Dankeschön an Christiane für ihre Einladung zu den abc-Etüden, diesmal die Nummer 3 mit den Wörtern „verdammt“, „Zweibrücken“, „grenzenlos“, die wie immer in maximal 10 Sätzen unterzubringen waren.)

Angebot ohne Alternative

„Verdammt – Zweibrücken. Ausgerechnet.“

„Wieso?“ Hannalene wunderte sich über den grenzenlos traurigen Ausdruck in den Augen ihres Freundes. Achim müsste sich doch freuen, er hatte so lange nach einem neuen Job gesucht, nachdem er aus der Reha entlassen worden war und seine Ärztin ihn für arbeitsfähig erklärt hatte. Eingeschränkt arbeitsfähig. Das hatte seine Chancen auf eine anspruchsvolle Tätigkeit stark gesenkt.

Wer wollte schon einen Großhandelskaufmann, der in zwanzig Stunden nur das Pensum von zehn regulären Arbeitsstunden erledigen konnte?

Nur das Dienstleistungszentrum der Bundeswehr in Zweibrücken hatte zugesagt, ausgerechnet, und alle Zehennägel kräuselten sich Achim beim Gedanken, sein Geld künftig vom Verteidigungsministerium zu bekommen, er, der den Wehrdienst aus sehr guten Gründen verweigert hatte.

Aber die Alternative war nur das Jobcenter, sonst gar nichts, und so sagte er zähneknirschend zu.

 

(Mit einem Dankeschön an Christiane für ihre Einladung zu den abc-Etüden, diesmal die Nummer 2 mit den Wörtern „verdammt“, „Zweibrücken“, „grenzenlos“, die wie immer in maximal 10 Sätzen unterzubringen waren.)