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Letzter Wille

„Du musst mehr haschen, dann geht es dir besser,“, sagte Caroline, aber sie hatte unrecht. Haschen half nicht gegen die Unbehaustheit. Haschen löste keine Probleme, es dämpfte allenfalls die Schmerzen, aber wenn Johannes ehrlich war, dann musste er zugeben, dass die Betäubung die Schmerzen immer weniger in Schach hielt. Dass die Schmerzen dumpf durch die Wolkigkeit drangen, die ihnen die Droge vorzugaukeln versuchte. Dass die Droge die Probleme ansonsten eher verschlimmerte als löste, denn wenn die Apothekendosis aufgebraucht war, wenn die heimlichen Treffen mit dem schmuddligen Dealer im Stadtwald anstanden, wenn das Geld dafür akribisch eingeteilt werden musste, das Johannes in besseren Zeiten angespart hatte …

Caroline wusste nichts von diesem Geld, und er würde ihr nichts davon sagen. Er mochte sie gern, aber er traute ihr nicht. Nicht, wenn es um Geld ging. Nicht, wenn es um Drogen ging. Und sonst … nun, sonst auch nicht. Aber er würde nicht derjenige sein, der ihr sagte, dass Haschen der Anfang einer Rutschbahn sein konnte, einer Rutschbahn ins Nichts, wo einen nicht einmal die Dunkelheit mehr auffing. Er war nicht ihr Vater und nicht ihr Großvater. Sie würde ihm keine Silbe glauben.

Schade um das Mädchen, dachte der alte Mann schwermütig und horchte dem Müllfahrzeug nach, das an der Eisenbahnbrücke vorbeifuhr, unter der er saß. Vorüberwehender Verwesungsgeruch ließ ihn würgen. Johannes fror und dachte daran, dass Caroline keine Chance hatte, niemals eine gehabt hatte, niemals eine haben würde.

Warum machte ihm das ein schlechtes Gewissen? Weil er seine Chance gehabt und genutzt, weil er sein Leben gelebt und bis zur Neige ausgekostet hatte?

Vielleicht sollte er Caroline den jämmerlichen Rest seines Geldes vererben. Sollte sie doch damit machen, was sie wollte! Er zückte den Kugelschreiber und schrieb sein Testament auf einen Papierrest, den der Herbstwind unter die Brücke geweht hatte.

(Aktuelle Kürzestgeschichte der abc-Etüden, die zweite: Die Schlüsselwörter für den obigen Text kommen von Bernd. Seine drei Begriffe lauten: Unbehaustheit, schwermütig, haschen. Sie waren wie immer in maximal 300 Wörtern zu verarbeiten. Danke, Bernd und Christiane, für den Anstoß!) 

Unter Frühstücksdirektorinnen

„Das ist ein Fall für Interpol“, sagte Polizeidirektorin Mühlenwasser beim monatlichen Behördenfrühstück, das diesmal die Leipziger Kriminalpolizei ausrichtete, zu ihrer Kollegin vom Zoll, der Regierungsdirektorin Hainendorff, als sie über die neuesten Zugänge in der Asservatenkammer plauderten. Interpol-Verdachtsfälle kamen in Grünau, Leipzigs trister Trabantenstadt  (okay, viele der hier wohnenden Menschen sahen das anders, wie Mühlenwasser wusste) öfter vor, als es den Beamtinnen lieb war, sie mussten sich nur an die Teppichlieferung mit eingewebtem Heroin aus den Vereinigten Emiraten erinnern oder an die Kondome voller Kokain, die an die Poststelle des Vatikans adressiert waren.

Die Menschen, sofern Mühlenwasser und Hainendorff den Drogendealerinnen, die seit fünf Jahren als reine Frauenbande aktiv waren, diesen Ehrentitel verpassen wollten (die Beamtinnen waren sich da uneinig) kamen auf die abwegigsten Ideen, um ihren Stoff von einem Land ins andere zu schmuggeln. Diesmal hatten sie ihn in den Schläuchen einer Honigpumpenlieferung versteckt, also nicht im Hohlraum der Schläuche, sondern in deren Material, das teilweise aus dem Pulver einer neuartigen Designerdroge hergestellt war.

„Wie nennen Sie das Zeug?“, fragte Hainendorff, die während der betreffenden Schulung, ausgerechnet während des großen Kita-Streiks!, ihre masernkranke Tochter hüten musste.

„Honigschleim“, sagte Mühlenwasser und nahm einen Schluck von ihrem Latte macchiato, leider aus einem Pappbecher, weil die zuständige Beschaffungsstelle den Antrag auf gläserne Becher abgelehnt hatte.

„Dann verstehe ich nicht, dass Rodica, diese rumänische Mafia-Mama, das Pulver im Schlauchmaterial einer Honigpumpe transportieren lässt. Als wollte sie uns geradezu unter die Nase reiben, dass es um Honigschleim geht, finden Sie nicht?“, äußerte Hainendorff ihr Unverständnis.

„Wie auch immer, das gibt eine Purple Notice an Interpol,  eine Info über geheime Verstecke und Methoden, und kein Wort an die Presse“, fasste die Polizeidirektorin zusammen, lehnte sich gemütlich zurück und biss in ihr Blätterteighörnchen. „Anderes Thema: wie geht es Ihrer Tochter inzwischen?“

(Mit einem Dankeschön an Christiane für ihre Einladung zu den abc-Etüden, diesmal die Nummer 2 mit den Wörtern „Interpol“, „Trabantenstadt“ und „Honigpumpe“, die wie immer in maximal 10 Sätzen unterzubringen waren.)