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Sprachgesetze

Wenn es Gesetze gegeben hätte, Gesetze, die bestimmten, welche Wörter man sagen durfte, und welche nicht, dann wäre alles einfach gewesen. Vorausgesetzt, die Sprachpolizei, die der Große Diktator als Unterbereich der Staatssicherheitspolizei gegründet hatte, hätte sich an diese Gesetze gehalten.

Im Grunde gab es sogar Gesetze (oder Verordnungen, das wusste sie nicht so genau), die bestimmten, dass in ihren muttersprachlichen Zeitungen die alten Ortsnamen nicht mehr genannt werden durften, weil nur noch die Landessprache zulässig war. Es war lächerlich – die Namen von Flüssen und Bergen durften noch verwendet werden, sodass die Leute von der Zeitung darauf ausweichen konnten, die „Stadt am Fluss X oder unter dem Berg Y“ zu schreiben. Aber über diese Gesetze hinaus war nicht viel festgelegt, was gesagt und was verschwiegen werden durfte oder musste.

Dass der Große Diktator der geliebteste Sohn des Volkes war, stand natürlich außer Frage. Dörfer und jahrhundertealte Kirchenburgen schleifen zu lassen war ein Akt des Fortschritts, und sicherlich würde es der Sprachpolizei nicht gefallen, diese Absicht „verroht“ oder „barbarisch“ zu nennen, aber gab es ein Gesetz, dass die Verwendung der entsprechenden Begriffe untersagte?

Sie kaute am Griff ihrer Füllfeder und überlegte die nächste Zeile des Loblieds auf die Allesbeherrschende Partei, an dem sie gerade schrieb, für die Jugendseite der muttersprachlichen Wochenzeitung, die diesmal von ihrem Lyzeum gestaltet wurde. Irgendwas Verherrlichendes musste es sein, etwas Hehres und Stolzes, etwas Patriotisches und Heimatliebendes.

Ihr einziger Trost bestand darin, dass auch dieser Spuk einmal vergehen würde, für sie persönlich spätestens, wenn sie nicht mehr am Leben wäre.

(Für die Textwoche 27.18 hat Werner Kastens die drei Wörter Sprachpolizei, verroht und vergehen gespendet, die wie immer auf Einladung von Christiane in maximal 10 Sätze zu packen waren.)

Unter Frühstücksdirektorinnen

„Das ist ein Fall für Interpol“, sagte Polizeidirektorin Mühlenwasser beim monatlichen Behördenfrühstück, das diesmal die Leipziger Kriminalpolizei ausrichtete, zu ihrer Kollegin vom Zoll, der Regierungsdirektorin Hainendorff, als sie über die neuesten Zugänge in der Asservatenkammer plauderten. Interpol-Verdachtsfälle kamen in Grünau, Leipzigs trister Trabantenstadt  (okay, viele der hier wohnenden Menschen sahen das anders, wie Mühlenwasser wusste) öfter vor, als es den Beamtinnen lieb war, sie mussten sich nur an die Teppichlieferung mit eingewebtem Heroin aus den Vereinigten Emiraten erinnern oder an die Kondome voller Kokain, die an die Poststelle des Vatikans adressiert waren.

Die Menschen, sofern Mühlenwasser und Hainendorff den Drogendealerinnen, die seit fünf Jahren als reine Frauenbande aktiv waren, diesen Ehrentitel verpassen wollten (die Beamtinnen waren sich da uneinig) kamen auf die abwegigsten Ideen, um ihren Stoff von einem Land ins andere zu schmuggeln. Diesmal hatten sie ihn in den Schläuchen einer Honigpumpenlieferung versteckt, also nicht im Hohlraum der Schläuche, sondern in deren Material, das teilweise aus dem Pulver einer neuartigen Designerdroge hergestellt war.

„Wie nennen Sie das Zeug?“, fragte Hainendorff, die während der betreffenden Schulung, ausgerechnet während des großen Kita-Streiks!, ihre masernkranke Tochter hüten musste.

„Honigschleim“, sagte Mühlenwasser und nahm einen Schluck von ihrem Latte macchiato, leider aus einem Pappbecher, weil die zuständige Beschaffungsstelle den Antrag auf gläserne Becher abgelehnt hatte.

„Dann verstehe ich nicht, dass Rodica, diese rumänische Mafia-Mama, das Pulver im Schlauchmaterial einer Honigpumpe transportieren lässt. Als wollte sie uns geradezu unter die Nase reiben, dass es um Honigschleim geht, finden Sie nicht?“, äußerte Hainendorff ihr Unverständnis.

„Wie auch immer, das gibt eine Purple Notice an Interpol,  eine Info über geheime Verstecke und Methoden, und kein Wort an die Presse“, fasste die Polizeidirektorin zusammen, lehnte sich gemütlich zurück und biss in ihr Blätterteighörnchen. „Anderes Thema: wie geht es Ihrer Tochter inzwischen?“

(Mit einem Dankeschön an Christiane für ihre Einladung zu den abc-Etüden, diesmal die Nummer 2 mit den Wörtern „Interpol“, „Trabantenstadt“ und „Honigpumpe“, die wie immer in maximal 10 Sätzen unterzubringen waren.)